Wo fängt sexuelle Belästigung an und wie sollten Unternehmen mit den Thema umgehen?

Spätestens seit der #MeToo- Bewegung ist vielen klar geworden, wie häufig Fälle sexueller Belästigung im Arbeitsumfeld vorkommen.  Viele Unternehmen haben grundsätzlich den Ernst der Lage erkannt und versuchen Prozesse zu erarbeiten, die Mitarbeiter aber auch das Unternehmen selbst vor solchen Fällen schützen.

Doch kommt es zu einem Vorwurf der sexuellen Belästigung, so geraten Arbeitgeber  in eine herausfordernde Rolle: Sie sind zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts verpflichtet, müssen aber gleichzeitig eine neutrale Rolle einnehmen. Doch wie kann der Arbeitgeber diesen Pflichten nach Prävention, Aufklärung und Reaktion effizient nachkommen?

Wir versuchen die wichtigsten Fragen zu dem Thema zu beantworten und Ihnen Handlungsempfehlungen mit auf dem Weg zu geben.

Sollte es zu einem solchen Vorfall in Ihrem Unternehmen kommen, empfehlen wir Ihnen aber auf jeden Fall, rechtlichen Beistand zu suchen. Dieser Beitrag ist daher nur als erster Einstieg in das Thema zu verstehen.

  1. Was versteht man unter sexueller Belästigung?

Die EU definiert sexuelle Belästigung in der Richtlinie zur Gleichbehandlung (2006/54/EC) als „jede Form von unerwünschtem Verhalten sexueller Natur, das sich in unerwünschter verbaler, nicht-verbaler oder physischer Form äußert und das bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen und Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“.

Zudem müssen laut § 12 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) Arbeitgeber ihre Mitarbeiter insbesondere vor sexuellen Übergriffen schützen. Die Opfer haben nicht nur das Recht, sich zu beschweren, sondern haben auch in besonders schweren Fällen ggf. das Recht die Arbeitsleistung zu verweigern.

Oftmals ist das Problem jedoch, wann genau eine sexuelle Belästigung vorliegt, da das Empfinden sich von Person zu Person stark unterscheiden kann. Als Orientierungshilfe kann auch hier das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) herangezogen werden. In § 3 Absatz 4 AGG heißt es:

Eine sexuelle Belästigung ist […] ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, [das] bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird.“ Wichtig ist hier also das beidseitige Einverständnis.“

Anstößige Fotos per Mail, zweideutige Witze während der Videokonferenz, unangemessene Offerten im Feedback-Gespräch.  Sexuelle Belästigungen sind vielschichtig. Sie reichen von verbalen und physischen Belästigungen bis hin zu non-verbalen Formen wie anzüglichen Blicken. Alles, was ohne das Einverständnis des Betroffenen geschieht, ist ein übergriffiges Verhalten.

  1. Welche Pflichten treffen Arbeitgeber?

Wie bereits angeführt treffen den Arbeitgeber konkrete Pflichten, welche das sind definiert aus § 12 AGG:

  • Arbeitgeber sind bereits verpflichtet, präventiv gegen sexuelle Belästigungen vorzugehen.
  • Steht der Vorwurf einer sexuellen Belästigung im Raum, müssen sie Maßnahmen zur Aufklärung eines Verdachtes ergreifen.
  • Bestätigt sich der Verdacht, müssen Arbeitgeber unterschiedliche (Disziplinar-)Maßnahmen ergreifen, etwa eine Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung des Mitarbeiters.
  • Kommen Arbeitgeber diesen Pflichten nicht nach drohen Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche ( § 15 AGG).
  1. Was kann ich tun, um Fällen von sexueller Belästigung vorzubeugen?

Insbesondere am Arbeitsplatz können sexuelle Belästigungen für Betroffene stark belastend sein, da sie der Situation nicht aus dem Weg gehen können. Zudem sind entsprechende Vorfälle für das innerbetriebliche Arbeitsklima Gift und nach außen bekanntwerdende Fälle der sexuellen Belästigung können dem Ruf eines Unternehmens nachhaltig schaden.

Daher sollten Unternehmen aus eigener Motivation bereits dafür Sorge tragen, eine möglichst belästigungsfreie Umgebung zu schaffen und Mitarbeiter zu sensibilisieren.

Zunächst sollten Unternehmen bereits klar formulieren, was sexuelle Belästigungen sind und welches Verhalten am Arbeitsplatz nicht geduldet wird. Am besten sollten daher klare Richtlinien zum Verhalten am Arbeitspatz erstellt werden, deren Einhaltung von jedem Mitarbeiter verlangt wird.

So verhindern Unternehmen möglichst Unsicherheiten bei Mitarbeitern darüber, wann die Grenze von einem (zunächst) einvernehmlichen Flirt zu einer sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz überschritten wird. Klar formulierte Verhaltensregeln und eine starke Positionierung gegen übergriffiges Verhalten sollen zudem potenzielle Täter abschrecken.

Folgende Punkte sollten Teil der Richtlinie sein:

  • Klare Definition, was unter sexueller Belästigung zu verstehen ist. Als Vorlage könne hier die oben genannten Absätze des Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) gewählt werden.
  • Klar sollte sein, dass beispielsweise unerwünschte Berührungen, anzügliche Bemerkungen oder Witze, sexuelle Gesten oder pornographische Bilder als sexuelle Belästigung zu werten sind.
  • Konkrete Beispiele oder Fallstudien können dabei helfen, Fälle, in denen Interpretationsspielräume bestehen, zu konkretisieren.
  • Eine Präsentation der Maßnahmen und Prozesse, die zur Untersuchung eines gemeldeten Vorfalls ergriffen werden
  • Vorstellung der Disziplinarmaßnahmen, die im Falle von Belästigung zum Tragen kommen (inklusive der Androhung einer Entlassung bei besonders verwerflichen Vorfällen)

Zudem sollten Unternehmen ein Klima schaffen, welches Mitarbeiter ermutigt, Fälle von Belästigung zu melden.

  • In der Richtlinie sollte deshalb Informationen zu den Meldekanälen im Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.

4.  Arbeitgeber müssen zusätzliche Meldestelle für Vorfälle einrichten

Die Verpflichtung zur Einrichtung einer zusätzlichen Meldestelle für Verstöße gegen das AGG im Betrieb, ergibt sich aus § 13 AGG. Bei der Besetzung dieser Stelle sind Arbeitgeber grundsätzlich frei, sie sollten aber soweit vor Ort ein Betriebsrat existiert, diesen mit einbeziehen. Gleiches gilt für das Festlegen des Ablaufs des Beschwerdeverfahrens. Die Position der Meldestelle sollte mit einer vertrauenswürdigen Person besetzt werden, damit die Stelle auch ihren Zweck erfüllt.

5. Wie haben Arbeitgeber Vorfälle aufzuklären?

Arbeitgeber sind gut beraten, die Aufklärung zügig voranzutreiben. Das trifft insbesondere aber nicht nur zu, wenn aufgrund der erhobenen Vorwürfe eine außerordentliche Kündigung im Raum steht, denn für diese gilt wegen § 626 Abs. 2 BGB eine Zweiwochenfrist.

Häufig werden Vorwürfe wegen sexueller Belästigung durch die Befragung von Mitarbeitern aufgeklärt. Hier sollten vorab vor allen Dingen gutdurchdachte Fragen formuliert werden, um den Sachverhalt genauestens untersuchen und trotzdem weiterhin seine neutrale Rolle als Arbeitgeber innehalten zu können.

Es empfiehlt sich daher externe Dritte die Interviews führen zu lassen und die Gespräche möglichst wortgenau durch eine weitere (!) Person zu protokollieren. Im Interesse des Arbeitgebers an einem reibungslosen Ablauf kann sich insbesondere bei komplexeren Sachverhalten die Aufklärung durch geeignete außenstehende Dritte empfehlen.

Weitere sinnvolle Aufklärungsmaßnahmen sollten ebenfalls ergriffen und dokumentiert werden.

6. Welche Disziplinarmaßnahmen sollten bei einem erwiesenen Vorwurf ergriffen werden? Wie kann das Opfer unterstützt werden?

Bei erheblichen erwiesenen Verstößen ist der Arbeitgeber verpflichtet, arbeitsrechtliche Disziplinarmaßnahmen zu ergreifen. Dies kann eine Um- oder Versetzung innerhalb des Unternehmens sein. Bei besonders schwerwiegenden Fällen kann auch eine (außerordentliche) Kündigung angemessen sein. Relevant sollte hier nicht nur der Vorfall an sich sein, sondern auch das Verhalten des Täters im Nachgang der Tat. Sieht die Person ihr Fehlverhalten ein, sollten eher mildere Mittel ergriffen werden als bei einem uneinsichtigen Täter.

Daneben sollte man falls nötig und gewünscht dem Opfer aber auch Hilfe zukommen lassen. Etwa eine psychologische Betreuung der betroffenen Person organisieren.

7. Was ist, wenn ein Sachverhalt nicht klar als sexuelle Belästigung bewertet werden kann?

Besonders schwierig ist die Situation für den Arbeitgeber, wenn sich ein Sachverhalt nicht gänzlich aufklären lässt. Hier ist es schwierig eine klare Handlungsanweisung zu geben, denn § 12 AGG sieht grundsätzlich eine Handlungspflicht vor. Diese dürfte auch greifen, wenn ein dringender Tatverdacht vorliegt. Hat der Arbeitgeber bereits alle Aufklärungsmöglichkeiten in einer solchen Situation ergriffen, sollte er trotzdem Maßnahmen zur Befriedung der Situation ergreifen.  Bei weniger intensiven Vorfällen, sollten etwa die betroffenen Mitarbeiter arbeitstechnisch voneinander getrennt werden. Bei einem schwerwiegenderen Vorfall, sollten auch Um- oder Versetzungen in Betracht gezogen werden. Das heißt, auch wenn ein Fall der sexuellen Belästigung nicht abschließend erwiesen ist, sollten Arbeitgeber unter Umständen arbeitsrechtliche Disziplinarmaßnahmen ergreifen, um ihren Pflichten aus dem AGG nachzukommen.

8. Was ist, wenn sich eine Anschuldigung als erwiesenermaßen bewusste Falschbeschuldigung herausstellt?

Das Ergebnis der Aufklärung kann auch sein, dass eine sexuelle Belästigung eindeutig nicht vorliegt. In dem Fall sollten Arbeitgeber unterscheiden: Handelt es sich schlicht um eine falsche Einschätzung von der Person, die die Vorwürfe erhoben hat, oder um ein Missverständnis, so sollten keine Disziplinarmaßnahmen ergriffen werden. Die Situation sollte aber im Betrieb aufgearbeitet und allen Beteiligten sollten über das Ergebnis der Untersuchung informiert werden- auch um die beschuldigte Person zu rehabilitieren.

Sollte aber bewiesen werden, dass es sich um eine bewusste Falschbeschuldigung handelte, so sollten Disziplinarmaßnahmen gegen die Person, die die Vorwürfe erhoben hat, in Betracht gezogen werden.

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