LAG Hamm: Vorläufiges Ende des Streits um Urlaubsanspruch und Arbeitsunfähigkeit im EuGH-Fall
Der schwerbehinderte Kläger war in der Zeit vom 01.04.1964 bis zum 31.08.2008 im Dortmunder Betrieb der Beklagten als Schlosser beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Einheitliche Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vom 18. 12. 2003 (im Folgenden: EMTV) Anwendung. Der Kläger war zunächst seit dem 23.01.2002 arbeitsunfähig krank und bezog ab dem 01.10.2003 jeweils befristet eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31.08.2008 durch Aufhebungsvereinbarung beendet. Am 18.03.2009 hat der Kläger beim Arbeitsgericht Dortmund Klage auf Abgeltung seines Urlaubs für die Jahre 2006, 2007 und 2008 in Höhe von jeweils 35 Arbeitstagen eingereicht. Das Arbeitsgericht hat dem Kläger mit Urteil vom 28.08.2009 die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs von 60 Arbeitstagen und des Schwerbehindertenurlaubs von 15 Arbeitstagen für die Jahre 2006, 2007 und 2008 zugesprochen. Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht Hamm mit Beschluss vom 15.04.2010 dem europäischen Gerichtshof die Frage vorgelegt, ob Urlaubsansprüche für langjährig arbeitsunfähige Arbeitnehmer angesammelt werden können oder ob sie zeitlich befristet sind. Die 16. Kammer hatte daran Zweifel, ob der Zweck des Urlaubsanspruchs die Ansammlung von Urlaubsansprüchen über viele Jahre erfordert. Mit Urteil vom 22.11.2011 hat der europäische Gerichtshof entschieden, dass Artikel 7 I. der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates dahingehend auszulegen ist, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften wie Tarifverträgen, die das Ansammeln von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub aus vergangener Zeit auf einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten beschränken, nicht entgegensteht.
Mit Urteil vom 22.03.2012 hat das Landesarbeitsgericht der Entscheidung des EuGH folgend die Beklagte verurteilt, für 15 Monate den Urlaub abzugelten und im Übrigen die Klage gewiesen. Nach dem Urteil des EuGH ist der § 11 Abs. Unterabs. 3 des EMTV, der einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten bei Krankheit vorsieht, nicht zu beanstanden und verstößt nicht gegen Europarecht.
Entgegen der Ansicht der Beklagten war der Kläger auch berechtigt, die Ansprüche noch geltend zu machen, obwohl er die im EMTV geregelte 3-Monats-Frist nach Fälligkeit nicht eingehalten hat. Denn dieser Tarifvertrag hat die Besonderheit, dass diese Frist nicht gilt, wenn der Arbeitnehmer trotz Anwendung der nach Lage der Umstände zuzumutenden Sorgfalt gehindert war, die Frist einzuhalten. Dieser Fall war hier anzunehmen, weil zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Ansprüche des Klägers nach der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts solche Ausschlussfristen für Urlaubsansprüche noch keine Anwendung fanden und der Kläger zum damaligen Zeitpunkt die Frist gar nicht einhalten musste.
Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 22.03.2012 – 16 Sa 1176/09,
Es wird darauf hingewiesen, dass die Berufungskammer die 15-Monats-Frist im des Metallbereichs NRW für einschlägig hält, weil sie dort ausdrücklich geregelt ist. Für den Fall des MTV Einzelhandels in NRW hat die Berufungskammer am 12.01.2012 entschieden, dass in diesem Bereich Urlaubsansprüche langjährig arbeitsunfähiger Arbeitnehmer spätestens 18 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen, wenn sie bis dahin nicht genommen werden konnten. Dies folgt daraus, dass der MTV-Einzelhandel keine eigenständigen Regelungen für den Verfall des übergesetzlichen Urlaubs hat und daher eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung des Bundesurlaubsgesetzes es gebietet, an die Stelle des dreimonatigen Übertragungszeitraums unter Berücksichtigung von Art. 9 Abs. 1 des Übereinkommens Nr. 132 ILO einen 18-monatigen Übertragungszeitraum treten zu lassen
Quelle: LAG Hamm, PM Nr. 27.03.2012
Urteil vom 12.01.2012
Az.: 16 Sa 1352/11
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