Müssen sich Arbeitnehmer wie beispielsweise Pflegekräfte impfen lassen? Auch aus arbeitsrechtlicher Sicht keine einfache Frage.
Der Impfstart stellt die Arbeitswelt vor neue Herausforderungen
Seit dem 21. Dezember 2020 sind zwei Impfstoffe zum Schutz vor der Corona-Virusinfektion zugelassen. Während das Coronavirus auch die Arbeitswelt seit Monaten maßgeblich beeinflusst stehen Unternehmen – Sofern nicht Voll- oder Teilschließungen von Betrieben von den Behörden betroffen – mit dem Impfstart vor weiter wachsenden Herausforderungen: Die Organisation des Arbeitslebens unter Sicherstellung der Hygienekonzepte in der Unternehmensführung nimmt zunehmend großen Raum ein.
Fragen nach einer Verpflichtung von Arbeitnehmern zur Impfung – insbesondere in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern – beschäftigen derzeit wohl viele Arbeitgeber und deren Angestellte.
Können Arbeitgeber ihre Arbeitnehmer zur Impfung verpflichten?
Ausgangspunkt: (Derzeit) keine gesetzliche Impfpflicht
Die Impfung gegen das Coronavirus ist – derzeit noch – freiwillig. In § 20 Abs. 6 S. 1 IfSG ist die gesetzliche Möglichkeit einer Impfpflicht jedoch schon vorgesehen:
„… anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen oder anderen Maßnahmen der spezifischen Prophylaxe teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist“.
Auf dieser Basis wurde im März 2020 durch das sogenannte „Masernschutzgesetz“ eine diesbezügliche Impfpflicht eingeführt. Vermutlich ist die derzeitige Knappheit des Corona-Impfstoffes Grund dafür, dass bisher von einer Corona-Impfpflicht noch kein Gebrauch gemacht wurde.
Corona-Impfpflicht kraft Direktionsrecht des Arbeitgebers?
Bisher gibt es dementsprechend auch (noch) keine gesetzliche Impfpflicht für Arbeitnehmer. Auch die zum Teil von Arbeitgebern in ihren Betrieben durchgeführten Grippeschutzimpfungen sind bisher freiwillig und können auch nicht einseitig vom Arbeitgeberangeordnet werden. Bisher wurde angenommen, dass das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmer sowohl die möglichen medizinischen Folgen (z. B. Fieber, Gliederschmerzen, Husten, Ansteckung anderer Arbeitnehmer) als auch die wirtschaftlichen Folgen überwiegt.
Nach derzeitigem Stand wird überwiegend vertreten, diese Grundsätze auch auf die Corona-Impfung zu übertragen. Die Corona-Pandemie ist jedoch – nach allen bisherig bekannten objektiven wissenschaftlichen Erkenntnissen – nicht mit einer üblichen „Grippewelle“ vergleichbar während die Gefahren der neuen Mutationen des Virus diese Sichtweise nun noch einmal unterstreichen.
„Im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers (§ 106 GewO) und dessen Ausübung im Rahmen billigen Ermessens hat der Arbeitgeber die wesentlichen Umstände des Falles unter Berücksichtigung sämtlicher Interessen gegeneinander abzuwägen.“
Aufgrund der schwerwiegenderen medizinischen, aber auch wirtschaftlichen Auswirkungen einer Infektion mit dem Coronavirus im Verhältnis zu anderen (Massen-)Infektionskrankheiten, muss hier das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers in Bezug auf eine Impfpflicht zurücktreten. Es bleibt aber dabei, dass es wie immer auf den Einzelfall ankommt. Daraus ergibt sich jedoch, dass eine vom Arbeitgeber angeordnete Impfpflicht für bestimmte Gruppen von Arbeitnehmern rechtmäßig sein könnte.
Besondere Gefährdungssituation: Könnten strengere Regelungen für pflegerisches und medizinisches Personal gelten?
Für Pflegepersonal in Altenheimen und medizinischen Einrichtungen sowie für Ärzte besteht im Rahmen von deren Berufsausübung eine besondere Gefährdungssituation. Diese Berufsgruppen sind einerseits potenzielle Multiplikatoren für die Ansteckung anderer Arbeitnehmer und die von ihnen behandelten und betreuten Personen. Andererseits sind sie systemrelevant und damit gerade während der Pandemie zur Aufrechterhaltung der medizinischen und pflegerischen Versorgung unverzichtbar.
Könnten deshalb besondere Pflichten für bestimmte Berufsgruppen gelten?
Es gilt der Grundsatz: Das Interesse des Arbeitnehmers, nicht zu einer Impfung gezwungen zu werden und das des Arbeitgebers einer flächendeckenden Impfung seiner Mitarbeiter bzw. der Berufsgruppe ist gegeneinander abzuwägen. In diesem speziellen Umfeld und angesichts der Besonderheiten des Virus muss wohl das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers zurücktreten.
Pflicht zur Infektionsverhütung durch ausreichende Sicherheitsmaßnahmen
Insbesondere muss berücksichtigt werden, dass Einrichtungen wie Krankenhäuser, Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen sowie Arztpraxen zudem gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 IfSG sicherzustellen haben, dass dort alle nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft erforderlichen Maßnahmen getroffen werden, um Infektionen zu verhüten und die Weiterverbreitung von Krankheitserregern zu vermeiden.
Dieses Ziel des Infektionsschutzgesetzes könnte auch bei der Corona-Pandemie mit einer Impfung zumindest weitgehend erreicht werden.
Interessenabwägung: Kein milderes Mittel?
Bei der Interessenabwägung kommt es auch darauf an, ob es „mildere Mittel“ als die Zwangsimpfung gibt wie beispielsweise eine regelmäßige Testung, Nutzung von Desinfektionsmitteln und das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes, die eine Verbreitung des Coronavirus vergleichbar verhindern können. Im Ergebnis dürfte das nach den derzeit vorliegenden medizinischen Erkenntnissen nicht der Fall sein.
Letztlich wird wohl gelten: Je mehr die medizinische Versorgung in Deutschland durch die Corona-Pandemie belastet ist und je mehr Ärzte und Pflegepersonal mit dem Coronavirus infiziert und krankheitsbedingt arbeitsunfähig sind, desto eher wird auch eine gesetzliche Impfpflicht bei diesen Berufsgruppen in Erwägung zu ziehen sein.
„Keine Impfung – keine Vergütung“
Können Arbeitgeber die Vergütung verweigern wenn Arbeitnehmer sich nicht impfen wollen?
Für Arbeitnehmer bestimmter Berufsgruppen können bei Ablehnung einer zwingend gebotenen Impfung arbeitsrechtliche Nachteile drohen. Arbeitgeber können grundsätzlich von ihren Arbeitnehmern als Voraussetzung für die Ausübung ihrer Tätigkeit bestimmte Voraussetzungen verlangen. So wie Piloten nur mit einer gültigen Fluglizenz fliegen dürfen oder beispielsweise Kraftfahrer nur mit Führerschein fahren dürfen könnten Arbeitgeber in medizinischen Bereichen ohne Impfung vermutlich nicht mehr eingesetzt werden, denn gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 IfSG gilt in medizinischen Bereichen, dass Arbeitgeber nicht geimpfte Arbeitnehmer für Tätigkeiten mit unmittelbarem Kontakt zu Bewohnern und Patienten nicht mehr vertragsgemäß beschäftigen können. Sollten zudem auch anderweitige Einsatzmöglichkeiten nicht in Frage kommen, ist die Beschäftigung dieses Arbeitnehmers unmöglich.
Arbeitnehmer, die sich nicht impfen lassen, müssen sowohl mit dem Einbehalt der Vergütung („kein Lohn ohne Arbeit“) als auch mit dem Ausspruch von Abmahnungen bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechnen.
„Höhere Vergütung durch Impfbonus“
Können Arbeitgeber einen Corona-Impfbonus als finanziellen Anreiz anbieten?
Arbeitgeber können ihren Arbeitnehmern einen finanziellen Anreiz für die Durchführung der freiwilligen Corona-Impfung anbieten. Eine Pflicht zur Durchführung der Impfung kann aber davon nicht abhängig gemacht werden. Bei der Interessenabwägung zwischen dem Schutz der Gesundheit von Patienten und Mitarbeitern einerseits und dem Selbstbestimmungsrecht der Mitarbeiter andererseits müssen in diesem speziellen Umfeld die Interessen der Arbeitnehmer zurücktreten. Ein Impfbonus oder eine Impfprämie ist aber zulässig und stellt keine Maßregelung für Impfverweigerer dar.
Fazit
Die Arbeitswelt bleibt weiterhin vor große Herausforderungen durch die Corona-Pandemie gestellt. Viele Strategien und Regelungen zur Eindämmung und Abmilderung der Folgen wie beispielsweise Maßnahmen wie der Lockdown, die Homeoffice-Pflicht und die stufenweise Erhöhung des Kurzarbeitergeldes wurden zum ersten Mal entwickelt, beschlossen, ausprobiert und durchgeführt. Auch bei der Impfpflicht für besondere Berufsgruppen besteht jetzt dringend der Bedarf zum schnellen, entschlossenen reagieren.
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